Madsen legt Leitfaden zur Tourismus- Akzeptanz vor – Küsten besonders im Fokus

Viele Urlaubsorte in Schleswig-Holstein wünschen sich mehr Touristen. Doch in manchen Hotspots empfinden Einheimische wie Urlauber eine hohe Zahl an Gästen als störend. Mit Unterstützung der FH Westküste gibt das Land jetzt erstmals einen Leitfaden zur besseren Tourismus-Akzeptanz heraus.

Als Reaktion auf die seit 2022 leicht gesunkene Tourismus-Akzeptenz in einigen Urlaubs-Hotspots an Nord- und Ostsee hat die schleswig-holsteinische Landesregierung erstmals einen «Leitfaden Akzeptanz» für Kommunen und Tourismusverantwortliche herausgegeben. «Wir haben uns in den letzten Jahren nahezu Monat für Monat über steigende Tourismuszahlen gefreut. Und wir wollen in dieser Branche mit ihren rund 170.000 Beschäftigten auch weiterhin mit einer hohen Bettenauslastung, guten Buchungszahlen und mehr Wertschöpfung erfolgreich sein», sagt Tourismusminister Claus Ruhe Madsen. Aber ein stumpfes «Höher, Schneller, Weiter» dürfe es angesichts erreichter Kapazitätsgrenzen in manchen Orten nicht mehr geben.

Nach Erhebungen des Deutschen Instituts für Tourismusforschung an der Fachhochschule Westküste gibt es bundesweit eine hohe Tourismusakzeptanz. Aber der Vergleich der Zahlen seit dem Corona-Jahr 2019, in dem viele Einheimische notgedrungen unter sich blieben, zeigt nach den Worten von Madsen auch, dass es gerade in Schleswig-Holstein mancherorts Rückgänge gebe. «Und dieser erhöhten Sensibilität, die sich unter anderem in der Gründung von Bürgerinitiativen wie auf Sylt widerspiegelt, tragen wir mit dem Leitfaden hoffentlich Rechnung», so der Minister. Statt auf Masse sei es oft sinnvoller, auf Qualitätsverbesserung des Angebots und bessere Nutzung des Bestehenden zu setzen. Nachhaltigkeit sei nicht umsonst die Maxime der Landes-Tourismusstrategie.«Und zwar basierend auf ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit“, so Madsen.

Nach Untersuchungen der Experten von der FH Westküste sehen die meisten Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner den Tourismus grundsätzlich positiv oder stehen ihm neutral gegenüber. Madsen: «Aber es gibt bei gutem Wetter eben auch massiv überlaufene Orte samt kilometerlangen Staus und teils auch drastische Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt.» Erfolgreich könne Tourismus aber nur im Einklang mit der Wohnbevölkerung sein. Allerdings müsse sich manch Einheimischer zuweilen auch klar machen, dass es das Kino im Ort oder die gute Auswahl an Restaurants ohne Touristen gar nicht gäbe, so der Minister.

Um den unterschiedlichen Positionen und Haltungen der Wohnbevölkerung gegenüber dem Tourismus auf den Grund zu gehen, wurden von den Heider Wissenschaftlern laut Madsen unter anderem folgende Kernfragen untersucht: Wer gehört zu denen, die den Tourismus rundherum positiv sehen? Wer sieht die Vorteile für den eigenen Wohnort? Wer ist „neutral“, wer zwiespältig und wer lehnt den Tourismus strikt ab? Was sind deren Motivation und Hintergrund und was kann man tun, um die Menschen dieser verschiedenen „Akzeptanzcluster“ für den Tourismus zu begeistern oder zumindest seine Vorteile besser zu erkennen?

Der kompletten «Leitfaden Akzeptanz – Akzeptanzcluster der einheimischen Bevölkerung Schleswig-Holstein» findet sich als Download HIER

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie:

Positive und nachhaltige Tourismusentwicklung kann nur gelingen, wenn Tourismus von Einwohnern nicht nur akzeptiert, sondern auch der Mehrwert erkannt wird.

Tourismusakzeptanz wurde in dieser Studie in zwei Dimensionen erfasst: Auswirkungen auf den Wohnort und persönliche Auswirkungen. Persönliche Faktoren wurden aufgrund ihrer Bedeutung für die eigene Zufriedenheit höher gewichtet.

  • Der Großteil der Wohnbevölkerung in SH (35%) steht dem Tourismus neutral gegenüber. Im Binnenland und der Tourismusregion Stormarn + Herzogtum Lauenburg liegt dieser Wert bei etwa 50%.
  • In den Städten (FL, KI, HL) stehen 44 % der Befragten dem Tourismus sogar positiv gegenüber. Zudem erkennt knapp ein Drittel der urbanen Bevölkerung positive Effekte für den Wohnort, aber keinen persönlichen Nutzen.
  • An der Nordseeküste sind die Einwohner dem Tourismus gegenüber generell am pessimistischsten eingestellt: 15 % sind gegen den Tourismus oder dulden diesen. 6 % sehen einen persönlichen Nutzen, aber keinen für den Wohnort. Ähnlich verhält es sich an der Ostsee + Holst. Schweiz.
  • Einwohner*innen mit einer ablehnenden als auch mit einer zustimmenden Haltung sind überdurchschnittlich häufig in Orten mit hoher Tourismusintensität wohnhaft.
  • Neben der Mitgestaltung der Destination als Erlebnisraum ist auch die Aufgabe der
  • Mitgestaltung der Destination als lebenswerter und attraktiver Wohnraum nötig.
  • Einige Formate, insbesondere Beteiligungsmöglichkeiten und Aufklärungsinstrumente, sind für alle Akzeptanzcluster nahezu gleichermaßen relevant, erfordern aber unterschiedliche Ausrichtungen und Schwerpunkte in der Umsetzung.
  • Eine zu starke Fokussierung auf Steigerung der Akzeptanz lässt ggf. die Menschen außer Acht, die eine zustimmende Haltung oder positives Engagement zeigen. Es müssen geeignete Formate initiiert werden, um diese positive Haltung zu erhalten und die Rolle als Botschafter weiter auszubauen.

Konkrete Handlungsempfehlungen

Für zustimmendes/akzeptierendes Cluster, vor allem im urbanen Raum und an den Küsten:

  • Botschafter-Kampagnen, Beteiligungsformate & Partizipation sowie persönliche Wertschätzung und Auszeichnungen. Zudem Aufklärung und Sensibilisierung, Direkter Austausch und Kommunikation sowie exklusive Anreize und Angebote für Einwohner (insb. Im urbanen Raum). Beispiel: DU.bist Tourismus – Kampagne des WiMi BaWü

Für neutrales Cluster, vor allem im Binnenland, Stormarn und Herzogtum Lauenburg:

  • Exklusive Anreize und Angebote für Einwohner (insb. Binnenland), niederschwellige Dialogformate und Einbeziehung, Aufklärung und Sensibilisierung.

Für Gruppe mit persönlichem Zwiespalt, vor allem an Nord- und Ostsee sowie Stormarn & Hzgt. Lauenburg:

  • Transparente und offene Kommunikation der Vorteile für die Gemeinschaft, Aufklärung und Aha-Erlebnisse sowie ein Wir-Gefühl vermitteln und aufbauen.

Für Gegner/ablehnende Gruppe, vor allem an Nord- und Ostsee:

  • Aktive Einbeziehung und Förderung des Dialogs mit Vereinen und Verbänden, neutrale Räume für Austausch gestalten und aktive Mitgestaltung gewähren, Respekt und gegenseitiges Vertrauen aufbauen.

Detailergebnisse aus den Akzeptanzclustern

  • 31% der Wohnbevölkerung in SH (44% Städte, 39% Nordsee, 32% Ostsee, 27% Binnenland, 24% Stormarn & Hzgt. Lauenburg)
  • Ø 52 Jahre, 79% haben keine Kinder u18 im Haushalt, hohe Wohnortloyalität (seit mind. 30 Jahren dort wohnhaft), häufig wirtschaftlicher Bezug zum Tourismus. Eine hohe wirtschaftliche Abhängigkeit vom Tourismus (vor allem an den Küsten) wird wahrgenommen.
  • Leben häufig in Orten mit mittlerer bis sehr hoher Tourismusintensität und stufen die eigene Lebensqualität als hoch bis sehr hoch ein  erkennen, dass Freizeitinfrastruktur der Tourismusbranche zu verdanken ist.
  • Empfinden Gästeanzahl größtenteils als richtige Menge. Aber 43% sprechen von Ballungstendenzen zur Saison.
  • Menschen aus diesem Cluster wollen Möglichkeiten zur Mitbestimmung und Partizipation sowie Wertschätzung für deren Einsatz. Sie fungieren als Botschafter und Vorbild für den Tourismus im Land. Denkbar wären Gütesiegel für Orte, die eine Beteiligungskultur implementiert haben.

Akzeptanzcluster: Konditionale Akzeptanz (Mehrwert für Wohnort wird gesehen, persönlich nicht)

  • 22% der Wohnbevölkerung in SH (31% Ostsee, 30% Städte, 25% Nordsee, 21% Stormarn & Hzgt. Lauenburg, 18% Binnenland)
  • Ø 48 Jahre, überdurchschnittlich hoher Männeranteil, 29% mind. 1 Kind u18 im Haushalt, 20% profitieren wirtschaftlich vom Tourismus.
  • Touristische Infrastruktur wird von Einwohnern mitgenutzt, was teilweise zu Nutzungskonflikten führt. Eine weitere Zunahme an Gästen ist nicht erstrebenswert. Lösungsansätze: Entzerrung/Lenkung der Besucherströme, auch durch digitale/innovative Lösungen und Verbesserung der Verkehrssituation.
  • Da Mehrwert für den Wohnort, aber nicht für sich persönlich festgestellt wird, sind Maßnahmen zur Förderung des Austauschs und eine Sensibilisierung für das System Tourismus ratsam. Aktive Mitgestaltung wird wegen mangelnder Identifikation nicht angestrebt.

Akzeptanzcluster: Neutralität

  • 35% der Wohnbevölkerung in SH (46% Stormarn & Hzgt. Lauenburg, 44% Binnenland, 18% Ostsee, 16% Städte, 15% Nordsee)
  • Ø 52 Jahre, überdurchschnittlich hoher Frauenanteil, geringster Anteil profitiert wirtschaftlich vom Tourismus und Wohnort mit geringer Tourismusintensität.
  • Geringe Identifikation mit dem eigenen Wohnort  keine Beteiligung/Mitgestaltung.
  • Durch geringe Gästevorkommen kaum Auswirkungen des Tourismus spürbar, dennoch wird eine verbesserte Verkehrssituation gefordert. Dies liegt u.a. an der Nähe zur Metropolregion Hamburg und entsprechendem Pendlerverkehr.
  • Touristische Angebote sollte der neutralen Masse nähergebracht und ihr gegenüber Wertschätzung gezeigt werden. Auch Austauschformate mit politischen Akteuren sind ratsam.

Akzeptanzcluster: Persönlicher Zwiespalt (persönlich eher positiv, aber negativ für Wohnort)

  • 3% der Wohnbevölkerung in SH – kleine, aber mitunter laute Gruppe (6% Nordsee, 5% Stormarn & Hzgt. Lauenbburg, je 3% Ostsee u. Binnenland, 2% Städte)
  • Ø 57 Jahre, überdurchschnittlich hoher Frauenanteil, nur 13% haben mind. 1 Kind u18 im Haushalt.
  • Diese Gruppe ist unzufrieden mit dem Freizeit- und Kulturangebot sowie dem Angebot an Restaurants und Cafés an ihrem Wohnort. Auch bei den Themen Verkehrsanbindung und ÖPNV wird kein positiver Einfluss des Tourismus wahrgenommen. Nur Natur und Umwelt werden positiv wahrgenommen, wobei Tourismus als Belastung hierfür eingestuft wird. Tourismus wird nicht als relevanter Wirtschaftsfaktor wahrgenommen.
  • Diese Gruppe erkennt vergleichsweise häufig die persönlichen Vorteile, fühlt sich aber auch überdurchschnittlich häufig durch Gäste und deren Verhalten im eigenen Wohnumfeld gestört und stellt eine Verteuerung des Wohnraums durch den Tourismus fest.
  • Beteiligung und Mitsprache ist gewünscht, Bedeutung und Effekte des Tourismus vor Ort sollten transparent kommuniziert werden. Gleichzeitig darf keine zu starke Abhängigkeit vom Tourismus suggeriert werden.

Akzeptanzcluster: Ablehnung / Aktive Gegnerschaft

  • 9% der Wohnbevölkerung in SH (16% Ostsee, 15% Nordsee, 9% übriges Binnenland, 8% urbaner Raum, 5% Stormarn & Hzgt. Lauenburg)
  • Ø51 Jahre, leben häufig in Orten mit hoher bis sehr hoher Tourismusintensität, 17% haben wirtschaftlichen Bezug zum Tourismus, geringe Identifikation mit dem eigenen Wohnort.
  • Hohes Gästeaufkommen mit Ballungstendenzen und Anzahl an Zweitwohnungen im Wohnort sorgen für Unmut. Tourismus wird trotz anerkannter wirtschaftlicher Relevanz negativ wahrgenommen. Hohe Beteiligung aufgrund von Vertrauensverlust und dem Wunsch nach Veränderung erwünscht  Begrenzung und Besucherlenkung gewollt.
  • Bezahlbarer und attraktiver Wohnraum wird gefordert. Offener Austausch mit mehr als Überzeugung notwendig, Bürgerinitiativen ernst nehmen.

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