
In den Weltmeeren rosten gewaltige Mengen alter Munition vor sich hin. Allein in Nord- und Ostsee werden 1,6 Millionen Tonnen vermutet. Experten beraten bei der internationalen Konferenz «Kiel Munition Clearance Week 2021» über die Bergung der für Mensch und Natur gefährlichen Stoffe. Bietet das Thema für den Norden eine Chance?
Zur Stunde diskutieren in der Kieler Hermann-Ehlers-Akademie Experten mit Wirtschafts- und Tourismusminister Bernd Buchholz über Auswege aus dem Öko-Dilemma, das aus seiner Sicht technologisch auch eine Chance bietet. Mit auf dem Podium bei Moderatorin Nele Dageförde von der TransMarTech GmbH: Prof. Dr. Jens Greinert (GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung), Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach (Inspekteur der Marine), Jann Wendt, Gründer der auf Munitions-Kartierung spezialisierten Egeos GmbH.
Hier der aufgezeichnete Live-Stream der Veranstaltung:
Nach Einschätzung von Buchholz sind allein für den Start in die industrielle Bergung der Munition seien etwa 100 Millionen Euro notwendig. «Unsere Vision ist es, die Weltmeere bis 2100 frei von Munitionsaltlasten zu bekommen», sagt Egeos-Chef und Gründer des internationalen Munitionskatasters „Ammunition Cadastre Sea“, Jann Wendt.
Geomar-Wissenschaftler forschen bereits seit Jahren zu verschiedenen Aspekten. Das Institut werde seine wissenschaftlichen Arbeiten zum Aufspüren von Munition und zur Entwicklung von Lösungen für die Überwachung und Räumung fortsetzen, sagt Geomar-Direktorin Katja Matthes. Voraussichtlich noch 2021 sollen drei weitere Projekte starten. «Hierbei geht es neben technologischen Entwicklungen zur Sprengstoffdetektion im Wasser und einer durch künstliche Intelligenz unterstützen Einschätzung des Risikos durch individuelle Munitionsobjekte insbesondere um die ökologischen Auswirkungen von Munition im Meer», sagte Geomar-Experte Jens Greinert. Alle relevanten deutschen Forschungseinrichtungen zögen bezüglich der ökologischen Auswirkungen an einem Strang.

In deutschen Teilen von Nord- und Ostsee liegen nach Regierungsangaben in 71 belasteten Gebieten insgesamt rund 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition. Hinzu kommen etwa 5000 Tonnen chemischer Munition aus beiden Weltkriegen. Insgesamt sollen es in deutschen, dänischen, schwedischen, norwegischen und lettischen Gewässern 320 000 Tonnen sein.
Im April hatte die Umweltministerkonferenz laut Kieler Umweltministerium einem Antrag des Landes zugestimmt, den Monitoringbericht zu einer Handlungsempfehlung auszuweiten und somit den Weg für den Einstieg in die Bergung zu bereiten. Gefragt ist auch die Industrie. Die Kieler Werft ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) hat bereits Pläne für eine industrielle Bergung von Munitionsaltlasten. Die Industrie- und Handelskammer geht allein für Schleswig-Holstein von Investitionen in mehrstelliger Milliardenhöhe aus, sieht aber auch Möglichkeiten für den Export von Technologien. «Kiel hat als Standort der maritimen Industrie und Meeresforschung die Chance, einen neuen Wirtschaftszweig zu etablieren und Schleswig-Holstein in den internationalen Fokus zu rücken», sagte IHK-Präsidentin Friederike Kühn.
Buchholz verweist auf die besondere Lage seines Landes zwischen zwei betroffenen Meeren. Das Problem mache nicht an den deutschen Grenzen halt. Es sei ein weltweites Problem. Die Forschung müsse weiter laufen, um das Bewusstsein für die Situation zu schärfen. Die Industrie sei gefordert, die Technik für große Bergungseinsätze bereitzustellen.