Zwischenergebnis der Autozug-Studie: Betrieb auf der Marschbahn unter Oberleitung technisch möglich

Staatssekretär Tobias von der Heide (rechts) stellte gemeinsam mit Jochen Schulz von der NAH.SH die ersten Ergebnisse vor.

KIEL. Die geplante Elektrifizierung der Marschbahnstrecke wird Auswirkungen auf den Verkehr der Autozüge zwischen Niebüll und Westerland haben, denn die Höhe der Wagen wird durch den Fahrdraht beschränkt sein. Die gute Nachricht ist: Auch unter der Oberleitung können die Autozüge weiterhin fahren – und zwar mit einem Schutzdach. Das zeigt der aktuelle Zwischenstand der Studie „Kraftfahrzeugtransport auf dem Autozug unter Fahrdraht“, den Verkehrsstaatssekretär Tobias von der Heide heute (31. Juli) gemeinsam mit NAH.SH-Bereichsleiter Jochen Schulz vorstellte. „Für uns hat die Elektrifizierung der Marschbahn höchste Priorität, denn sie wird die Zuganbindung stabiler und damit verlässlicher machen. Das ist hier auch dringend notwendig. Die Studie zeigt einen ersten, vielversprechenden Lösungsansatz, wie der Autozugverkehr unter Oberleitung funktionieren kann. Das ist ein toller weiterer Schritt auf dem Weg, die Marschbahn zur klimaneutralen Verkehrsachse der Westküste zu machen“, sagte von der Heide.

In Zusammenarbeit mit den Autozugbetreibern vom DB Sylt Shuttle und RDC Autozug Sylt erstellte der Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein (NAH.SH) im vergangenen Jahr einen Fragenkatalog, welcher der Studie zugrunde liegt. Ein Ingenieurbüro hat nun erste Abschätzungen zur technischen Machbarkeit erarbeitet – vor allem in Bezug auf höhere Fahrzeuge wie Handwerkstransporter und Lkw. „Wir wollten prüfen, ob und wie die jetzigen Verlade-Abläufe, die Transport-Kapazitäten und die vorhandene Infrastruktur aufrechterhalten werden kann“, betonte der Staatssekretär. Der Zwischenstand der Studie zeige, dass diese Anforderungen gewährleistet seien, wenn die Autozüge ein Schutzdach nach Vorbild der Autozüge in den Alpen hätten. „So können die Personen während der Fahrt in den Autos bleiben und weiterhin die Aussicht auf das schöne Wattenmeer genießen“, sagte von der Heide weiter. Besonders erfreulich: Die Verladekapazität bleibe weitestgehend erhalten und verringere sich nur im einstelligen Prozentbereich.

Staatssekretär von der Heide sagte dazu weiter im Interview:

Schulz ergänzte: „Dass die Autozüge auch unter einer Oberleitung weiterhin zwischen Niebüll und Westerland verkehren können, ist ein kleiner aber natürlich wichtiger Teilaspekt des gesamten Elektrifizierungsprojektes. Das Zwischenergebnis der Studie stärkt uns in unserer Zuversicht auf eine gute gemeinsame Lösung. Ich freue mich, dass wir nun eine vielversprechende Diskussionsgrundlage haben, deren Details es in weiteren Schritten mit der Expertise aus der täglichen Arbeitspraxis der Autozugbetreiber abzugleichen gilt.“

„Die Studienergebnisse werden wir gerne zum Anlass nehmen, um zu prüfen, ob und inwieweit diese praxisorientiert umgesetzt werden können. Augenscheinlich müssen die Vorschläge insbesondere mit Blick auf das Sicherheitskonzept der Autozüge geprüft werden. Die entsprechenden Gutachter und Sachverständigen werden sich nunmehr damit befassen. Für uns hat das Thema Sicherheit hierbei die höchste Priorität, nebst einer Bewertung der deutlich reduzierten Kapazität der Autozüge, Konsequenzen für Verladung und Betriebsqualität sowie Wirtschaftlichkeit. Ein fundiertes Ergebnis werden wir hierzu sicherlich im September kommunizieren können“, sagte Dr. Markus Hunkel, Chief Executive RDC Deutschland.

Franco Lippolis, Leiter DB Inselverkehre Sylt und Wangerooge: „Der Deutschen Bahn liegen die Ergebnisse des Gutachtens erst seit Kurzem vor. Auch für uns steht Sicherheit an oberster Stelle. Zudem müssen wir mögliche Auswirkungen auf die Kapazität unserer Autozüge sowie auf die betriebliche Tauglichkeit zunächst prüfen. Neben der technischen Umsetzbarkeit muss auch eine praxisorientierte Lösung im Sinne der Interessenvertretungen der Insel entwickelt werden. Wir werden die Studienergebnisse auch unter diesen Aspekten bewerten, um die nächsten möglichen Schritte im engen Schulterschluss mit dem Land Schleswig-Holstein im Sinne einer starken Schiene zu erarbeiten.“

Hintergrund Elektrifizierung Marschbahn:

Die Marschbahnstrecke zwischen Hamburg und Westerland soll zur klimaneutralen Verkehrsachse der Westküste werden. Züge sollen dort ab Anfang der 2030er-Jahre statt mit Diesel elektrisch unter Oberleitung fahren. Die Marschbahn nimmt als nicht elektrifizierte, aber stark befahrene Bahnstrecke deutschlandweit eine Sonderrolle ein. Züge aus dem restlichen Bundesgebiet müssen derzeit in Itzehoe von E-Lok auf Diesellok umgekuppelt werden, was Zeitverluste und Mehrkosten mit sich bringt. Die vollständige Elektrifizierung soll diesen Sonderzustand beseitigen und außerdem noch folgende Vorteile mitbringen:

  • höhere Betriebsqualität auf der gesamten Marschbahnstrecke durch leistungsfähigere E-Lok, die eine geringere Anfälligkeit für Ausfälle zeigen und leichter zu warten sind,
  • klimaneutraler und CO2-freier Nah- und Fernverkehr durch lokal produzierten Windstrom,
  • Möglichkeit der ICE-Anbindung,
  • umsteigefreie, zuverlässige und schnellere Verbindungen für Pendlerinnen und Pendler sowie zu Schleswig-Holsteins touristischen Hauptzielen an der Westküste,
  • Kosteneinsparungen im Betrieb von ca. 8 Millionen Euro pro Jahr.

Ein Gedanke zu „Zwischenergebnis der Autozug-Studie: Betrieb auf der Marschbahn unter Oberleitung technisch möglich“

    1. Täglich erleben Fahrgäste leider das Gegenteil des Behaupteten, nämlich unzuverlässigen Oberleitungsbetrieb. Die hohe Verfügbarkeit elektrischer Tfz täuscht eine Systemverfügbarkeit vor, die so nicht gegeben ist. Oberleitungen fallen aus unterschiedlichsten Gründen aus: Kurzschluss durch Vögel und andere Tiere, Bauplanen, Kupferdiebstahl, Kinderballons, Eis, Klimawandel, Sturm, Vandalismus, Lkw-Aufbauten, Instandhaltungsmängel usw.
    2. Küstennahe Bahnstrecken In GB und die französische Einfahrt in den Ärmelkanaltunnel zeugen davon, dass Salzwasser in der Luft massive Kurzschlüsse an Oberleitungen mit tagelangen Ausfällen verursachen kann. Auch der Hindenburgdamm befindet sich bekanntlich in salzhaltiger Luft.
    3. Leistungsfähige Hybridloks sind Stand der Technik und mit 90% CO2-reduziertem HVO-Kraftstoff bereits im DB-Einsatz. Das vermeintliche Umspannnargument zugunsten des elektrischen Betriebs entfällt dann ebenso wie das Umwelt- und Klimaschutzargument. Bemerkenswert: Oberleitungsbetrieb emittiert rechnerisch mehr Feinstaub als vergleichbarer fahrdrahtloser Betrieb mit aktueller Abgasnorm EU IIIB erlaubt.
    4. Ohne Steuerfianzierung kämen Streckenelektrifizierungen häufig kaum aus den roten Zahlen heraus. Entsprechend hoch sind deren CO2-Vermeidungskosten: Effiziente Klimaschutzmaßnahmen sehen anders aus. Auch der CO2-Fußabdruck, Rohstoffbedarf und Flächenverbrauch ist größer als bei fahrdrahtlosem Betrieb.
    5. Fast alle zwei Wochen passiert in Deutschland ein Bahnstromunfall – so viele Unfallopfer an Menschen und Tieren fallen bei keiner anderen Traktionsart an. Der Stromschlagschutz ist bei der Bahn seit 100 Jahren nahezu unverändert geblieben und längst nicht mehr zeitgemäß. Dies erkennen zunehmend auch Gerichte und weisen der Bahn z.B. bei Stromunfällen Minderjähriger eine Mitschuld zu. Nur so wird sich die Bahn um mehr und leider auch kostensteigernden Stromschlagschutz bemühen.

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