Deutsche Werften funken SOS – Buchholz: Insolvenzen konnten bislang abgewendet werden

Auf Deutschlands Seeschiffwerften droht wegen der Corona-Krise der Verlust Tausender Jobs und möglicherweise sogar die Zerschlagung der ganzen Branche. «Nach den Ankündigungen der Unternehmen sehen wir mehr als ein Drittel der 18 000 Arbeitsplätze auf den deutschen Werften als akut gefährdet an», erklärte Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste, heute in Hamburg bei der Vorstellung der diesjährigen Schiffbauumfrage unter Betriebsräten. Und das sei nicht einmal die schlimmstmögliche, sondern eine realistische Annahme. Werde nicht gegengesteuert, sehe er die Gefahr, dass es die Branche Schiffbau in ein paar Jahren gar nicht mehr gebe, «sondern dass wir nur noch punktuell über Schiffbau im Norden reden können».

Friedrich forderte die Politik in Bund und Ländern sowie Unternehmen zu einem schnellen und entschlossenen Handeln auf. Es gehe jetzt darum, die Strukturen zu sichern und dafür schnell Geld aus den Hilfsprogrammen der Bundesregierung bereitzustellen. Die Bundesregierung müsse zudem die angekündigten Aufträge für die Marine zügig vergeben. «Briefe und Papiere – etwa zur Schlüsseltechnologie Marineschiffbau – sind genug geschrieben.» Von den Arbeitgebern verlangte er, nicht nur über angeblich zu hohe Kosten zu reden, sondern über die Qualität im Schiffbau: «Wir müssen besser und nicht billiger sein, um uns auf dem Weltmarkt durchzusetzen.»

Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Nordmetall, Nico Fickinger, bestätigte den Krisenbefund der Gewerkschaft. «Die IG Metall sollte daraus aber auch die richtigen Schlüsse ziehen: Keine teuren Belastungen der Unternehmen in der Tarifrunde des nächsten Jahres, keine weiteren Erschwernisse durch Veränderung des Werkvertragsrechts.» Stattdessen sollten mehr Flexibilität bei Arbeitszeit und Arbeitseinsatz Einzug halten. «Das wären Beiträge zu Zukunftssicherung und Arbeitsplatzerhalt bei Werften.»

Schleswig-Holsteins Wirtschafts- und Arbeitsminister Bernd Buchholz bestätigte einerseits den Befund der IG Metall, machte zugleich aber auch deutlich, dass zumindest in Schleswig-Holstein Insolvenzen bislang erfolgreich abgewehrt werden konnten. Allerdings verliere auch Schleswig-Holstein absehbar in relativ kurzer Zeit fast 700 Stellen im Schiffbau – darunter 300 Stellen bei der Flensburger Schiffbaugesellschaft und 150 Stellen bei der Rendsburger Werft Nobiskrug.

Auch Buchholz sieht die Unterstützung des Bundes im Bereich des Marineschiffbaus als eine der wichtigsten Stützen der Branche: «Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds sowie das Vorziehen von öffentlichen Aufträgen gepaart mit der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes sind geeignete Instrumente.»

Weiter sagte Buchholz – Audio starten

In der heute vorgestellten Umfrage geht rund die Hälfte der Befragten in allen 39 deutschen Seeschiffwerften davon aus, dass in ihren Unternehmen in den nächsten Monaten weitere Arbeitsplätze abgebaut werden. Neue Aufträge gebe es so gut wie keine. Insbesondere im Passagier- und Spezialschiffbau seien die Prognosen düster. «Es gibt keine Kreuzfahrten, es gibt keinen Bedarf an neuen Kreuzfahrtschiffen. Dieser Markt ist komplett zusammengebrochen», sagte Thorsten Ludwig, Forschungsleiter der Agentur für Struktur- und Personalentwicklung (AgS), die die 29. Schiffbauumfrage verantwortet.

Entsprechend prognostizierten die Betriebsräte von knapp einem Drittel aller Werften eine sich verschlechternde Auftragslage. «Zentral ist dabei, in diesen 30 Prozent Werften arbeiten über 50 Prozent aller Beschäftigten im deutschen Schiffbau», sagte Ludwig – und fügte an: So skeptisch seien die Betriebsräte in den vergangenen 15, 20 Jahren noch nie gewesen.

Rund 7500 Beschäftigte seien derzeit in Kurzarbeit. Das sei der höchste jemals gemessene Wert. Gleichzeitig seien die Leiharbeitsquote und die Zahl der Werksverträge gestiegen. «Es ist für manche offensichtlich günstiger, Stammbeschäftigte in Kurzarbeit zu setzen und Leiharbeit einzusetzen», sagte Ludwig. Nur in den Reparaturwerften seien alle an Bord. «Alle Reeder, die ihre Schiffe nicht auslasten und fahren lassen können, machen jetzt «waschen, legen, föhnen»», sagte Ludwig. Allerdings werde dabei aber nur das Nötigste gemacht. «Es gibt keine größeren Umbauten.»

Bei den Werften dominieren Ludwig zufolge immer stärker Zusammenschlüsse. So arbeiteten in den fünf größten Gruppen inzwischen 80 Prozent aller Beschäftigten – allen voran die Meyer Werft Gruppe mit der Meyer und der Neptun Werft in Papenburg und Rostock mit insgesamt 3923 Mitarbeitern, gefolgt von Thyssen Krupp Marine Systems mit 3607 Beschäftigten in Kiel, Emden und Hamburg sowie der Genting Group mit 3075 Mitarbeitern bei der Lloyd Werft Bremerhaven und den MV Werften in Stralsund, Warnemünde und Wismar.

Friedrich kritisierte vor allem die Papenburger Meyer Werft, die seit mehr als einem halben Jahr nur sage, wie schwierig alles sei. «Ich würde von der Meyer Werft gerne mal konkret wissen, wie ist die finanzielle Lage, (…) welche Pläne gibt es tatsächlich für die Beschäftigung und wie soll in Zukunft das Thema Werkverträge gestaltet werden.» Denn nur dann könne nach Lösungen gesucht werden. Alles andere sei für die Menschen auf der Werft nicht zumutbar.

Sorgen bereiten den Betriebsräten und der IG Metall auch die Themen Ausbildung und die daran anschließende Übernahme im Betrieb. Obwohl der Schiffbau bei jungen Leuten nach wie vor attraktiv sei – auf einen Ausbildungsplatz seien im Schnitt knapp zwölf Bewerber gekommen – werde auf einigen Werften offensichtlich erstmals darüber diskutiert, die Zahl der Ausbildungsplätze zu reduzieren und Ausgelernte nicht unbedingt zu übernehmen, sagte Ludwig. «Das ist nicht unbedingt das beste Signal an junge Leute, die ihre Zukunft im Schiffbau sehen.»

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